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James Dean & Blockflöte

Vor genau 50 Jahren, am 30. September 1955, starb James Dean, eine Ikone der Filmegeschichte: In nur 18 Monaten spielte er sich mit drei Filmen rasant an die Weltspitze und wurde zum Vorbild für Millionen von Jugendlichen. Draufgängerisch und „tough“, so kennt man ihn. Weniger bekannt sind seine weicheren Charakterzüge – und seine stille Wegbegleiterin in dieser turbulenten Zeit: die Blockflöte. Nik Tarasov spürte sie in zahlreichen Zeitdokumenten zum Leben des Schauspielers auf.

„Jimmy ist anders“: Ein Kommentar von James Deans Freundin, der Schauspielerin Pier Angeli. In einem Interview sagt sie weiter: „Er liebt Musik von ganzem Herzen. Er hört gerne Musik. Er gibt sich weich, anders, als die typischen männlichen Kultstars.“

Es gibt die unterschiedlichsten Beweggründe, wenn Erwachsene sich plötzlich für die Blockflöte zu interessieren beginnen. Als besonders spannend wird empfunden, wenn dies Prominente tun. Einer der ersten Stars, welcher sich offenkundig von dem in der 50er Jahren immer noch recht mit Vorbehalten beladenen, ungewöhnlichen Instrument angezogen fühlte, ist der berühmte amerikanische Schauspieler James Dean. Dass er sogar eine innige Beziehung zur Blockflöte hatte, dürfte den wenigsten bekannt sein.

Wer kennt es nicht, das Szenenfoto aus dem Kinofilm nach John Steinbecks Familiensaga Jenseits von Eden (Drehbeginn Ende Mai 1954): Zwei Brüder im Teenage-Alter zu Hause im Schlafzimmer; der eine liegt auf dem Bett – von Schlafen keine Rede – der andere, ebenfalls nur halb bekleidet, sitzt auf der Bettstange und tutet aufsässig auf einer Tenorblockflöte herum … Der Film erzählt die moderne, kleinbürgerliche Version der biblischen Geschichte von Kain und Abel. Die dramatische Verfilmung illustriert wie keine andere zuvor den Generationskonflikt der Nachkriegszeit und thematisiert Ängste, Zweifel und den Zorn einer ganzen Generation Jugendlicher, allerdings in den Kulissen Hollywoods. Beim Ringen um das Image des trauten Heims in einer letztendlich heilen Welt (und eben dieses Klischee verkörpert unser Instrument) ließen die Verantwortlichen die knisternde Szene mit der Blockflöte fallen. Die Gefahr einer Zweideutigkeit war zu groß. Man wollte sich nicht leisten, dass etwas Symbolisches oder sogar Unanständiges in sie hineininterpretiert würde. Trotzdem wurde diese Einstellung genauso bekannt, wie der Kinofilm. Die Blockflöte war aus den Kinderzimmer hinaus und in die Hände junger, rebellischer Männer gelangt.

Ein anderes Foto (veröffentlicht auf einer Postkarte) zeigt den jungen Nachwuchsschauspieler James Dean mit ebendiesem Instrument, vermutlich kurz vor Drehbeginn. An der verkrampften Art, wie er die Flöte hält erkennt man, dass er sie als Requisit eben erst in die Hände bekommen haben dürfte. Der Schauspieler scheint aber überraschend schnell damit warm geworden zu sein und mag sich sehr bald selbst elementare Griffe beigebracht haben. Die Schauspielerin Christine White berichtet kurz nach Deans Engagement für Jenseits von Eden, Deans Bett sei voller Sachen, darunter Notenblätter und eine Flöte. Bei den Dreharbeiten lernte James den Folksänger und Schauspieler Burl Ives kennen. Ein Foto zeigt die beiden versunken beim spontanen gemeinsamen Improvisieren. James Dean hält darauf seine Tenorblockflöte jetzt musterhaft – im Moment des Schnappschusses spielt er ein C oder D in der mittleren Oktave.

Die Kraft dieser internen Bilder wirkt noch lange Zeit nach: Als James Deans Leben 2000 von Betsy Burke mit James Franco in der Hauptrolle (er erhält dafür den Golden Globe) unter dem Titel Rebel, rebel (Dt. Ein Leben auf der Überholspur) verfilmt wird, gestaltet man darin eine weitere fiktive Blockflötenszene: James Dean betritt zum ersten Mal blockflötend das Studio, sieht sich um und meint, er weigere sich mit dem Mann in der Rolle seines Vater drehen zu wollen. Nachdem ihm der Regisseur erklärt hat, er bestehe auf der Mitwirkung des bekannten Schauspielers, meint Dean lapidar, er habe ihn nur provoziert, weil er dann besser spielen würde.(Den neuesten Fantasiebeitrag liefert der amerikanische Künstler Paul Gassenheimer mit einem Kunstdruck aus der Serie „Hollywood Dreams“ mit dem Titel „flute song“. Zu sehen sind Marilyn Monroe und James Dean (eine Blockflöte haltend) als Paar auf einem Sofa – eine derartige Begegnung beider Stars hatte nie stattgefunden. (siehe: http://www.gassenheimer.com/)

James Deans Liebe zur Musik zieht sich durch sein ganzes kurzes Leben. Den Anfang machten 1936 Geigenunterricht und Stepptanz-Stunden. Seine Mutter stirbt im Alter von 29 Jahren an Krebs. Der Vater gibt seinen Sohn aus beruflichen Gründen in die Obhut von nahen Verwandten, die ihm zum Weihnachtsfest 1940, kurz nachdem er in die 4. Klasse der Grundschule von Fairmount gekommen war, eine kleine Trommel kaufen. Er fällt bei schulischen Theateraufführungen auf und wird Preisträger beim nationalen Lesewettbewerb.

Nach seinem Highschool-Abschluss zieht er nach Los Angeles und beginnt mit dem Schauspielunterricht an der California University, 1952 am Actors' Studio von Lee Strasberg in New York. Es folgen Gelegenheitsjobs, bis er mit einer kleinen Theaterrolle auffällt. Er bekommt den „Daniel-Blum-Preis“ als bester Nachwuchsdarsteller der USA und wird vom bekannten Hollywoodregisseur Elia Kazan für den Film entdeckt und über Nacht berühmt.

Während seiner Ausbildung befreundet er sich mit dem Schauspieler Martin Landau. Zusammen verbringen sie viele Stunden und hörten Musik von Bach, Bartók und sogar Schönberg. Einer seiner späteren Biographen schreibt: „Die Musik war ein Teil von Jimmys Leben, eine seiner wenigen anhaltenden Interessen und etwas, worauf er sich wirklich konzentrieren konnte. Er verbrachte ganze Abende damit, einen Rhythmus auf seinen Bongo-Trommeln auszuarbeiten oder auf einer Penny Whistle zu spielen, was er sich selbst beigebracht hatte“ (Joe & Jay Hyams: James Dean – Little Boy Lost. An Intimate Biography. 1992 Warner Books, Inc., NY. Deutsche Ausgabe. James Dean, der einsame Rebell. Übers.: Ulrich von Berg, Vgs Verlagsgesellschaft, Köln 1993.) Der Cineast David Swift hat Jimmy als trübsinnigen und hübschen Jungen in Erinnerung, der auf seiner Penny Whistle traurige Melodien spielt und auf Partys mit leicht überheblicher Miene in der Ecke hockt und Gesprächen lauscht. Er führt lange Diskussionen über Musik (Mozart, C.Ph.E. Bach usw.) mit dem Filmmusik-Komponisten Leonard Rosenman und dessen Frau, bei denen er häufig zu Gast ist und wo er mit Musikern und Künstlern zusammentrifft. Er nimmt bei den Rosenmans Klavierstunden, übt aber nicht und muss feststellen, dass sein kleiner Finger schief gewachsen ist, so dass er manche Akkorde nicht greifen kann. Dazu kommt, dass er für eine kleine Rolle am Broadway ein Liedchen nicht singen kann, weil er die Tonhöhen nicht trifft. Verzweifelt kauft er sich Unmengen von Schallplatten, hat aber kein Abspielgerät, so dass er immer jemanden überreden muss, diese bei ihm zu hören. Der Schauspieler und spätere Dirigent Frank Corsaro diskutiert mit ihm am Klavier über Bach. Nach Paul Alexander ist Tschaikowsky Deans Lieblingskomponist (Paul Alexander: Boulevard of Broken Dreams. 1994 Viking. New York. Deutsche Ausgabe: James Dean. Goldmann. München 1995), nach Joe Hyams mag er die Peer Gynt Suite von Grieg, Mozart, Janáček und Jazz.

Zum Schlüsselerlebnis werden Begegnungen mit dem charismatischen Darsteller Marlon Brando, mit welchem sich die junge Schauspielergeneration identifiziert. Gewisse Ähnlichkeiten der beiden bleiben auch der Presse nicht verborgen. Zu Deans Debüt in „Jenseits von Eden“ schreibt ein Kritiker: „Wie Marlon Brando, kam Jimmy Dean nach Hollywood mit einer tiefen Gleichgültigkeit gegenüber Kleidung und Manieren. Er trug abgetragene Sporthemden, abgefärbte Bluejeans, eine Lederjacke. Er fuhr Motorrad … liebte es Bongos und Blockflöte zu spielen.“(Interview mit William Bast in Hollywood: The Rebels (Frühjahr 1955)

In den 50er und 60er Jahren war das Spielen von Congas und Bongos Mode geworden. In Fernsehshows und beim Film machten Musiker wie Jack Costanzo und Cyril Jackson die Instrumente populär und erteilten einigen Leinwandstars Trommelstunden. Für James wird das Trommeln zu einem Teil seines Lebensgefühls: zunächst trommelt er auf einem Küchentisch herum, leiht sich dann die Instrumente von Marlon Brando, bis ihm schließlich sein Lehrer Cyril Jackson eine Bongotrommel schenkt. Fortan er spielt auf Trommelpartys bei Freunden zu Jazzmusik. Hyams berichtet: „Wo Jimmy auch hinging, seine Trommel war immer dabei – in New York, in Hollywood und zu Hause in Fairmount. Je besser er sie spielen konnte, desto mehr hing er an ihr.“ Laut “Mr. Music” Jerry Osborne kam es zwischen Dean und Bob Romero zufällig zu einer Jam-Session, bei der Dean Congas spielt und Romero Panflöte. Die Aufnahme wurde 1957 (zwei Jahre nach Deans Unfalltod) von profitsüchtigen Produzenten als 45er Single unter dem Titel “Ad-lib Jam Session” veröffentlicht.

Nach ersten Filmgagen konnte sich Dean eine eigene Wohnung leisten, eine winzige Mansarde in New York in der 68. Straße West, eine ehemalige Dienstmädchenunterkunft. Dort trommelt er nachts verbissen zu Voodoo-Beat-Platten von Les Baxter. „Ich spiele auf diesen verdammten Bongos, und die Welt kann mir gestohlen bleiben!“ (Barney Hoskyns: James Dean – Der Rebell von Hollywood. Heyne Verlag, München 1990) Aber es gibt auch Nächte, in denen er auf seinem kleinen Plattenspieler Musik von Vaughan Williams oder Blochs „Hebräische Rhapsodie“ hört; ganz hingerissen ist er von Gershwins Porgy and Bess. In Windeseile legt er sich eine Schallplattensammlung zu und prahlte damit gegenüber Dennis Stock: “Ich sammle alles, von der Musik des zwölften und dreizehnten Jahrhun­derts bis zur extremen Moderne, du weißt schon: Schönberg, Berg, Strawinsky. Sinatras Album Songs for Young Lovers gefällt mir auch.“

Und er sucht wieder das Gespräch: Oscar Levant, der ein hervorragender Klavierspieler ist und selbst für Hollywood komponiert, unterhält sich mit ihm stundenlang über Bach, Mozart, Arthur Honegger, Charles Ives und dem Jazztrompeter Stan Getz. Er sagt: „Als Jimmy ging, war es schon 4 Uhr früh. Ein erstaunlicher junger Mann. Er weiß eine Menge über Musik!“

Aber auch die Flöte kommt nicht zu kurz. James hat nun einen Notenständer aus Chrom, überfüllt mit Notenblättern. Für eine offizielle Reportage besucht ihn der Fotograf Dennis Stock auch in seiner Wohnung Ende Januar 1955, noch vor Anfang der Dreharbeiten zu ... denn sie wissen nicht, was sie tun. Von den dort entstandenen Aufnahmen zeigt eine Deans Büchergestell, auf dem immer griffbereit eine Blockflöte steht. Der Schauspieler hatte sich nun ein neues, eigens Instrument gekauft: Die Altblockflöte stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von William Koch (1892-1970), dem ersten modernen amerikanischen Blockflötenbauer (Ein Artikel über Koch steht in The American Recorder XII, 1, Febr. 1971). Laut Friederich von Huene verkaufte Koch seine Holzinstrumente mit englischer Griffweise in einem bekannten Musikgeschäft in New York. Ein Instrument kostete gegen 20-30 $ und war damit relativ günstig und etwa halb so teuer, wie die selten importierten Dolmetschflöten.

Für drei weitere Aufnahmen posiert Dean für Stock mit eben dieser Altblockflöte, einmal sogar aus Notenblättern spielend. Allerdings kann er in diesem Fall die Noten seiner starken Kurzsichtigkeit wegen nicht erkennen, ist er doch ohne seine dicke Brille nach eigenen Worten von Natur aus „blind wie ein Maulwurf“. (Auf eine Anfrage 2003 erinnert sich Dennis Stock „an nichts Besonderes bezüglich James Deans Blockflötenspiel“.)

Während der Dreharbeiten zu Deans letztem Film Giganten Ende August 1955 besucht Joe Hyams den nun berühmten Schauspieler in dessen neuen Haus und beschreibt das dortige bunte Chaos herumliegender Sachen, darunter die sich fast bis unter die Decke türmenden, modernsten Lautsprecher der Nobelmarke James B. Lansing: „Jimmy hörte Musik ausschließlich laut. Auf jeder freien Fläche lagen LPs umher. Er setzte sich im Schneidersitz auf den Fußboden, angelte sich seine hölzerne Blockflöte und stimmte mit verzückter Mine eine misstönende Melodie an. Dann kam er auf die junge Nachwuchsschauspielerin Ursula Andres, welche er unlängst kennen gelernt hatte …“ Dies ist die letzte Notiz zu James Deans Verhältnis zur Blockflöte.

James Deans Charakter und seine Reaktion auf gesellschaftliche Zwänge spiegeln sich ambivalent in der Musik wieder, mit welcher er sich umgab. Einerseits das zur Schau Stellen eines harten Kerns: Das Bild eines Mannes war das eines „tough guy“, der vor allem sportlich zu sein hatte. Wie viele, wünschte sich auch Deans Vater zeitlebens, er würde endlich zu einem „ganzen Mann“ heranwachsen. Das Aufbegehren gegen Klischees und die von Konventionen stark geprägte Welt smarter Leute produzierte zwangsläufig unangepasste Jugendliche, wie sie James Dean verkörperte und deren Idol er letztendlich wurde. Deans lauten Protest formulierte Dennis Stock: „Immer wieder schien mir Jimmys Vorliebe für die Congas eher von seinem Interesse an Geräuschen herzurühren als von den Congas selbst. Trommeln, Motorräder, Sportwagen – es war das kraftvolle, tönende Vibrato, für das er so empfänglich war.“ (Dennis Stock: James Dean Revisited von Schirmer/Mosel, München 1986)

Noch weniger Raum ließen Gesellschaftszwänge den sanften Seiten ihrer Helden und Stars, und das nur in gewissen privaten, mit allerlei Spielregeln abgesteckten Freiräumen. Und doch bekennt sich Dean schon früh dazu: „Bei Sport schlägt das Herz eines jeden amerikanischen Jungen höher, aber ich glaube, ich werde mein Leben der Kunst und dem Schauspiel widmen.“ (aus James Deans Selbstporträt der letzten Highschool-Klasse)

Die Schauspielerin Julie Harris bringt das andere Ich ihres Filmpartners auf den Punkt: „Er war ein unheimlich glänzender Schauspieler und ein strahlender junger Mann. Ich sehe ihn noch vor mir: er sah aus wie ein Engel auf Erden, als er dabei war, Bach auf seiner Blockflöte spielen zu lernen." (Interviewt in Ron Martinetti: The James Dean Story. 1975)

Letztlich kostete ihn das Hart Sein das Leben. Am 30. September 1955 verunglück er mit nur 24 Jahren in seinem neuen Sportwagen auf der Fahrt zu einem Autorennen mit überhöhter Geschwindigkeit tödlich an einer Kreuzung des Highway 446 in Kalifornien. In einem von Lew Bracker privat zusammengestellten Bestandsverzeichnis der Habseligkeiten aus der letzten Wohnung Deans zitiert Hyams zwar eine Bongotrommel, aber keine Blockflöte.

Dennoch war das Instrument in den Händen des jugendlichen Kultstars längst zum besonderen Symbol einer heimlichen Protesthaltung geworden. Ein Jahrzehnt später sollte es in Frans Brüggen sein musikalisches Idol finden.

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